Wenn ich durch das Ruhrgebiet streife und mich in Clubs, auf Festivals oder in kleinen Künstlerräumen umsehe, fällt mir eine Sache besonders auf: Die neue elektronische Szene hier klingt weder pur nach Berlin‑Techno noch nach Mainstream‑House. Sie hat einen eigenen Charakter — geprägt von industrieller Atmosphäre, melancholischer Melodik und einem starken Sinn für kollaboratives Experimentieren. In diesem Beitrag teile ich mit euch, welche Klänge mich aktuell besonders interessieren, welche Protagonistinnen und Spielorte man nicht verpassen sollte und worauf ich persönlich bei einem guten elektronischen Abend achte.
Welche klänge dominieren gerade?
Das Ruhrgebiet ist ein Schmelztiegel — und das hört man. Mehrere Stränge prägen die Szene gleichzeitig:
Melancholischer, melodischer Techno: Warmes, analoges Sounddesign trifft auf treibende Kickdrums. Nicht die härteste Variante, sondern eher eine, die Raum für Emotionen lässt. Viele Producer kombinieren hypnotische Basslines mit flüchtigen Pads und melancholischen Leads.Ambient und Slow Electronic: Längere, atmosphärische Sets funktionieren zunehmend — sowohl als Hintergrund für Ausstellungen als auch als Hauptprogramm in Intimklubs. Diese Richtung nutzt Fieldrecordings aus dem Ruhrgebiet: Industrieklänge, Flussrauschen der Ruhr oder Stimmen aus dem Alltag.Experimentelle Elektronik / Modular-Szene: Eurorack‑Setups, Live‑Code‑Performances und Noise‑Elemente sind präsent. Hier wird viel mit Synthese und unkonventionellen Klangquellen gearbeitet.Leftfield House & Breaks: Verspieltere Rhythmen, versetzt eingesetzte Breakbeats und Basslinien, die Clubs in Bewegung bringen, aber nicht ausschließlich auf harte Drops setzen.Hybrid-Formen: Crossovers mit Jazz, Post‑Rock und Pop — oft in Projekten, die in lokalen Kunsthäusern entstehen.Mich faszinieren besonders Acts, die lokale Identität in den Klang übersetzen: Tracks, die industrielle Texturen mit persönlichen Geschichten verbinden. Das Ergebnis klingt oft rau, aber warm — eine direkte Reaktion auf die ehemalige Industrie- und Arbeiterinnenkultur unserer Region.
Wer sind die Träger der Szene?
Es sind nicht nur einzelne DJs oder Produzentinnen; die Szene lebt von Kollektiven, Labels und Veranstalterinnen, die Räume schaffen. Einige Tendenzen, die ich beobachte:
Kollektive und DIY‑Communities: Sie organisieren Warehouse‑Partys, kuratieren experimentelle Abende und geben Newcomern eine Bühne. Diese Initiativen sind oft non‑profit und sehr offen für genreübergreifende Formate.Labels mit regionaler Prägung: Auch wenn viele lokale Producer mit überregionalen Labels arbeiten, entstehen immer wieder kleine Labels im Pott, die auf physische Releases und limitierte Tapes setzen — ein schöner Gegenpol zum Streaming.Artist‑Residencies in Kulturinstitutionen: Häuser wie das Dortmunder U oder die Zeche Zollverein bieten Raum für interdisziplinäre Projekte — ideal für Musikerinnen, die elektroakustische Performances oder audiovisuelle Sets entwickeln.Welche Venues sollte man nicht verpassen?
Ich nenne hier Orte, die regelmäßig elektronische Musik programmieren und die für die Szene wichtig sind — von großen Spielstätten bis zu intimen Orten:
Zeche Zollverein (Essen): Kein klassischer Club, aber ein Ort für besondere Nächte: Ambient‑Konzerte, audiovisuelle Performances und Festivals, die elektronische Projekte in industrielle Architektur einbetten. Die Kulisse macht viele Sets unvergesslich.Dortmunder U (Dortmund): Das Haus der Kreativen hat in den letzten Jahren immer wieder spannende elektronische Formate präsentiert: von Clubnächten bis zu experimentellen Klanginstallationen. Gut, um neue Schnittstellen zwischen Kunst und Clubkultur zu erleben.FZW – Freizeitzentrum West (Dortmund): Ein verlässlicher Ort für DJs und Live‑Acts. Hier gibt es regelmäßig elektronische Nächte, die sowohl lokale als auch überregionale Acts auf die Bühne holen.Matrix (Bochum): Studentisch, laut, bunt — für Clubnächte mit eher tanzorientierten Sets. Ideal, wenn man in die lokale Clubkultur eintauchen möchte.Warehouse‑ und DIY‑Locations: Diese wechselnden Orte — oft nur per Newsletter oder Social Media angekündigt — sind absolute Must‑Sees, wenn man neue Sounds entdecken möchte. Die Atmosphäre ist rau, das Publikum neugierig und die Line‑Ups oft sehr experimentell.Kleine Kunst- und Projekträume: Viele davon in Essen, Duisburg oder Gelsenkirchen veranstalten abendliche Sets, die mehr auf Klangforschung als auf Clubtanz ausgerichtet sind. Hier entstehen oft Kooperationen mit bildenden Künstlerinnen und Medienkünstlern.Praktische Tipps für den Abend
Aus meiner Erfahrung als Konzert‑ und Clubgängerin einige Hinweise, damit der Abend rund wird:
Informieren statt überraschen lassen: Viele spannende Events haben keine klassische Ticketverkäufe auf großen Plattformen — schaut auf die Websites der Collectives, auf Instagram oder in lokalen Kulturkalendern. Ich empfehle euch das Event‑Archiv auf kulturzentrum‑ruhraue.de sowie lokale Facebook‑Gruppen.Früh kommen bei kleinen Räumen: In intimen Venues ist die Platzzahl oft begrenzt. Wer gute Sicht und Nähe zum Akt haben möchte, ist früh dran.Offenheit mitbringen: Elektronische Abende im Ruhrgebiet sind oft cross‑disciplinary. Manchmal sind es eher Performances als DJ‑Sets — das bedeutet, dass man nicht unbedingt nonstop tanzt, sondern auch zuhört und anschaut.Support lokal: Kauft Releases an der Abendkasse, besucht Recordstores und teilt Veranstaltungsinfos. Die Szene lebt vom Miteinander.Welche Künstlerinnen und Formate beobachte ich?
Ich mag Acts, die traditionelle Clubästhetik neu denken: Live‑Sets mit modularen Synthesizern, Acts die Fieldrecordings integrieren, Duos aus elektronischen und akustischen Instrumenten. Konkrete Namen wechseln schnell — wichtiger ist das Format: kurze Clubsets wechseln sich mit langen Live‑Performances ab, und Festivals wie die Ruhrtriennale oder lokale Sonderreihen bringen experimentelle Elektronik einem größeren Publikum näher.
Was macht einen guten elektronischen Abend für mich aus?
Es muss nicht laut sein, damit es gut ist. Für mich sind folgende Dinge entscheidend:
Rahmung: Licht, Raumakustik und die Architektur tragen massiv zur Wirkung bei. Ein guter Klangraum macht aus einer DJ‑Session ein Erlebnis.Kuratiertes Line‑Up: Wenn Veranstalterinnen eine Story erzählen — etwa wechselnde Stimmungen über den Abend verteilt — entsteht eine dramaturgische Tiefe, die mich fesselt.Publikum: Neugierige Menschen, die zuhören, tanzen und miteinander ins Gespräch kommen, machen den Abend lebendig.Wenn ihr Tipps für bestimmte Nächte oder Künstlerinnen sucht — sagt mir, in welcher Stadt ihr unterwegs seid oder welchen Sound ihr bevorzugt. Ich teile gern aktuelle Empfehlungen und verlinke zu Terminen auf kulturzentrum‑ruhraue.de.