Als ich anfing, mich intensiver mit der freien Theaterszene im Ruhrgebiet zu beschäftigen, fiel mir schnell auf: Die Zusammenarbeit zwischen freien Gruppen und kommunalen Spielstätten ist vielschichtig, oft persönlich und keineswegs standardisiert. Hinter jeder Koproduktion, jeder Gastspielkooperation oder kurzen Residenz steckt ein Geflecht aus Vertrauen, Formalitäten und pragmatischen Lösungen. In diesem Beitrag möchte ich aus meiner Beobachter- und Gesprächsperspektive erklären, wie solche Kooperationen üblicherweise funktionieren, welche Stolpersteine es gibt und wie beides – freie Gruppen wie kommunale Häuser – voneinander profitieren können.

Wie kommen die ersten Kontakte zustande?

Die Wege sind vielfältig. Manche freie Ensembles haben bereits ein Netzwerk: Kolleginnen und Kollegen empfehlen, Gespräche entstehen auf Festivals (z. B. bei Spielstätten- und Netzwerk-Treffen), Fachkonferenzen oder über Vermittler wie Kulturämter. Andere möchten gezielt in eine bestimmte Stadt und schreiben die Spielstätte an. Häufiger als man denkt funktionieren auch informelle Kanäle: Ein Hausregisseur war auf einem Gastspiel, hat die Gruppe angesprochen, oder eine Technikleitung entdeckt eine Produktion bei einem Hinterhoffestival.

Worüber wird zuerst gesprochen?

Im ersten Austausch geht es meist um folgende Punkte:

  • Terminmöglichkeiten (Spielplanlücken, Laufzeiten)
  • Technische Rahmenbedingungen (Bühne, Licht, Ton, Bühnenbildgröße)
  • Gagen und Finanzierung (Honorare, Nebenkosten, Anteilsvereinbarungen bei Eintrittserlösen)
  • Proben- bzw. Aufenthaltsmöglichkeiten vor Ort (Residenzen)
  • Publikumserwartungen und Zielgruppen
  • Diese Punkte werden oft in einem informellen Telefonat oder E-Mail geklärt, bevor eine schriftliche Vereinbarung entsteht.

    Formen der Zusammenarbeit

    Es gibt mehrere gängige Modelle, die ich in unserer Region immer wieder beobachte:

  • Gastspielvertrag: Die freie Gruppe bringt eine fertige Produktion ins Haus; die Spielstätte stellt Raum, Technik und meist Personal zur Verfügung. Gage und Erlösaufteilung werden vertraglich geregelt.
  • Koproduktion: Die Institution beteiligt sich finanziell oder organisatorisch an der Produktion – oft mit Co-Finanzierung, gemeinsamer künstlerischer Verantwortung und Premieren vor Ort.
  • Residenz/Arbeitsaufenthalt: Die Gruppe erhält Probenzeit, manchmal auch finanzielle Unterstützung für Unterkunft und Verpflegung, im Austausch für Präsentationen (Work-in-Progress) oder Zuschauerbeteiligung.
  • Workshops und Community-Projekte: Freie Gruppen übernehmen Vermittlungsprojekte für Schulen, Senioren oder Migrantengruppen, finanziert durch das Haus oder Förderprogramme.
  • Technik und Raum: die unsichtbaren Verhandlungsfelder

    Technik ist ein häufiger Knackpunkt. Freie Produktionen reisen oft mit minimalem technischen Equipment; kommunale Häuser haben feste Standards. Entscheidend ist die frühe Klärung folgender Punkte:

  • Welche technischen Ressourcen stellt das Haus (Lichtpult, Scheinwerfer, Mikrofone)?
  • Wer ist die verantwortliche Technikperson – die Haustechnik oder externe Crew?
  • Wie viel Einspielzeit wird benötigt?
  • Bei einer Koproduktion kann es sinnvoll sein, Technikkräfte beider Seiten zu kombinieren: Das schafft Know-how-Transfer und erspart spätere Überraschungen.

    Finanzierung: Transparenz schafft Vertrauen

    Ein offenes Gespräch über Geld ist unerlässlich. Ich höre oft die Sorge freier Gruppen, dass kommunale Häuser "alles vorgeben", während Häuser befürchten, allein das finanzielle Risiko zu tragen. Typische Modelle:

  • Fixe Gage plus Nebenkostenübernahme (Anfahrt, Unterkunft, Verpflegung)
  • Splitting der Einspielerlöse nach einer vereinbarten Quote
  • Co-Finanzierungen durch Stiftungen, Kulturämter oder Förderprogramme (z. B. Fonds Darstellende Künste, lokale Kulturfonds)
  • Wichtig ist, alle Kosten realistisch aufzuschlüsseln und mögliche Einnahmen (Ticketpreise, erwartete Auslastung) transparent zu diskutieren.

    Rechte, Verträge und Formalitäten

    Die vertragliche Absicherung reicht von einfachen Gastspielverträgen bis zu komplexen Koproduktionsverträgen. Wichtige Punkte sind:

  • Leistungsbeschreibung (Was bringt wer mit? Wer sorgt für was?)
  • Haftungs- und Versicherungsfragen
  • Film- und Fotoverwertungsrechte
  • Storno- und Ausfallregelungen
  • Angaben zu Tourneeplänen und Exklusivitätsfristen
  • Ich empfehle, Standardvorlagen zu nutzen und bei Unsicherheiten rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen – viele Verbände (z. B. Deutscher Bühnenverein) oder lokale Kulturbüros bieten dazu Informationen.

    Publikum und Programmplanung

    Kommunale Spielstätten haben oft treue Stammzuschauer, die an bestimmten Formaten interessiert sind; freie Gruppen bringen manchmal neue, jüngere Zielgruppen mit. Erfolgreiche Kooperationen nutzen beides:

  • Gezielte Marketingmaßnahmen: gemeinsame Social-Media-Kampagnen, Newsletter-Beiträge, lokale Pressearbeit.
  • Vermittlungsformate: Publikumsgespräche, Einführungsvorträge oder Previews für Vereinsmitglieder.
  • Rabatte und Kombitickets, um neue Zuschauer zu gewinnen.
  • Ein Haus, das bereit ist, die freie Gruppe aktiv ins Programm zu integrieren (z. B. durch Saisonheft, Vorspann oder Schülerkarten), erhöht die Chance auf gute Auslastung deutlich.

    Gelingensbedingungen aus meiner Sicht

    Aus den Gesprächen mit Künstlerinnen, Technikern und Intendanten habe ich einige wiederkehrende Erfolgsfaktoren gesammelt:

  • Frühzeitige Kommunikation: Je eher technische und finanzielle Fragen geklärt sind, desto weniger Reibung.
  • Klare Rollenverteilung: Wer ist Ansprechpartner für Technik, Presse, Kasse?
  • Flexibilität: Kleine Abweichungen im Ablauf gehören zum Theateralltag – beide Seiten sollten pragmatisch reagieren können.
  • Transparenz bei Kosten und Risiken: Offene Zahlen schaffen Vertrauen.
  • Langfristige Perspektive: Wiederkehrende Kooperationen und Residenzen ermöglichen künstlerisches Wachstum und Publikumsbindung.
  • Tipps für freie Gruppen

  • Erstelle eine kompakte Technik- und Raum-Rider-Liste – das spart Zeit in Verhandlungen.
  • Bereite ein realistisches Budget vor und kenn die nötigen Fördermöglichkeiten in der Region.
  • Bring Probenmaterial oder ein Showreel mit auf das erste Treffen.
  • Denke an Vermittlungsformate – Spielstätten schätzen Teams, die Publikum mitbringen oder neue Formate bieten.
  • Tipps für Spielstätten

  • Sei offen für Experimente und trage das Risiko nicht allein – sprecht über Co-Finanzierung.
  • Baue feste Ansprechpersonen auf Technik- und Programmseite auf.
  • Unterstütze freie Gruppen bei Promotion: Reichweite und Reputation deines Hauses sind oft der Schlüssel zum Erfolg.
  • FrageFreie GruppeKommunale Spielstätte
    Wer organisiert Technik?Meistens eigene Ausrüstung / in AbspracheStellt Standardtechnik, bietet Personal
    Wer trägt das finanzielle Risiko?Bei Gastspielen oft die Gruppe; bei Koproduktionen geteiltBei Koproduktionen häufig Co-Träger
    Wie wird Publikum gewonnen?Eigenes Netzwerk, Social MediaHaus-Logo, Saisonheft, lokale Presse

    Wenn Sie im Ruhrgebiet aktiv sind und nach Kooperationsmöglichkeiten suchen, lohnt sich ein Blick auf lokale Netzwerke und Förderprogramme. Gerne berichte ich in einem weiteren Beitrag über konkrete Fördermöglichkeiten und Adressen in der Region – oder ich vermittle Stimmen aus jüngsten Koproduktionen, die sehr aufschlussreich sind.